Exhibition
cccc
15 Sep 2022 – 12 Nov 2022
Galerie Georg Nothelfer
Berlin, Germany
prolonged - cccc
collect-cut-compose-cobble. Eine Ausstellung zum Thema Collage
Michael Buthe / Nadine Fecht / Gerhard Hoehme / Elmira Iravanizad / Lucia Kempkes /
Miriam Salamander / Jan Voss
Die Collage - obgleich ein Medium so alt wie das letzte Jahrhundert, scheint das Medium der Stunde. Im allgegenwärtigen Copy-Paste-Gestus ist alles mit allem kombinierbar, sofern es im Modus des Bildhaften rezipiert werden kann. Und da die visuelle Fragmentierung der Wirklichkeit ins quasi Unendliche vorangeschritten ist, erscheint es unmöglich die einzelnen Partikel noch in Zusammenhang wahrzunehmen. Wir sehen nur noch die Splitter des Spiegelkabinetts, in dessen Scherben wir uns vervielfältigt haben. Der daraus resultierende Reflex eines kulturpessimistischen Lamento verkennt jedoch, wie sehr sich unsere Wahrnehmung im Zuge der technologischen Evolution verändert hat, wir mit unserer neu gewonnenen Polyfokalität Wirklichkeit permanent zu Bausteinen dessen werden lassen, was Künstler in der Collage gesucht haben. und weiterhin suchen.
„Die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“- so lautete einst die vom Dichter Lautréamont entliehene Formulierung die zur Beschreibung surrealistischer Schönheit Berühmtheit erlangte und gleichsam avant la lettre ein stimmiges Bild für das schuf, was einige Jahre später Collage genannt wurde. Doch weniger Zufall war am Werk als der Wunsch aus dem Clash des Disparaten einen neuen vielstimmigen Klang zu erzeugen.
Im Prozess der Collage ist das Finden und Sammeln des Materials ebenso wichtig wie das Neuordnen und Verbinden. Künstler werden zu Archivaren ihrer Fundstücke, sie bewahren und sortieren, sie systematisieren und klassifizieren den Rohstoff, sei es Fotografie, ein Textfragment, oder eine bestimmte Sorte Textil, die ihren Weg in die Komposition findet.
Die Collage erlaubt uns Distanz zu Prinzipien wie Singularität, Rationalität oder Homogenität. Ein einheitliches formales und mono-mediales Narrativ wird durchkreuzt, eine Synthese des Zusammengefügten kann unter Umständen - muss aber nicht entstehen. Collage ist der Verweis auf die Koexistenz einer Alterität, eines sichtbaren Bruches, einer Narbe, die dem Körper eine neue Identität verleiht.
Die historische Evolution dieser neuen Bildpraxis läuft entlang einer Achse, die mit der Kubistischen Collage Picassos und Braques beginnt und den Bildraum aufbrach, um mit plastischen und textuellen Elementen zu spielen, hin zu den italienischen Futuristen. Von der anarchistisch-dadaistischen und politischen Collage von Schwitters, Hausmann und Höch in den 20er Jahren zu den schon erwähnten Surrealisten, die in der Collage eine Entsprechung sahen zu den alogischen und kontradiktorischen Zonen des Unterbewussten, und weiter zu den Akteuren der Popart in den 50er und 60er Jahren bis in die Gegenwart einer digitalen Bildwelt.
Die Ausstellung cccc - wobei die 4 Buchstaben für collect, cut, compose, cobble - stehen, Verben, die allesamt unterschiedliche Prozesse des Collagierens beschreiben.- präsentiert sieben sehr unterschiedliche KünstlerInnen, deren Praxis Collage umfasst.
Angefangen mit Michael Buthe (1944-1994), der in seinem Oeuvre die unterschiedlichsten Elemente und Einflüsse vereinte, vom europäischen Informel und amerikanischen Minimalismus bis hin zu den Erfahrungen längerer Aufenthalte in Nordafrika. Collage Assemblage und Malerei werden zu den Ausdrucksformen seiner stark heterogenen Lebenswelten.
Nadine Fechts (1976, Mannheim) Werk ist im erweiterten Feld der konzeptionellen Zeichnung angesiedelt und spürt den soziopolitischen Kraftfeldern, Strukturen und Bewegungen nach, denen das Individuum ausgesetzt ist. Ihre Collage-Blätter sind Materialrecherchen, deren Gestus das Formale immer reflektiert aber in seiner inhaltlichen Aufgeladenheit überschreibt. Ein Wechselspiel aus Störsignalen, die unseren Wunsch nach Lesbarkeit herausfordern.
Gerhard Hoehme (1920-1989), zentrale Stimme der deutschen Nachkriegskunst und aus der gestischen Abstraktion stammend, hat sich zusehends mit neuen Formen des Bildfeldes beschäftigt hin zu einer Überwindung der Zweidimensionalität zu einem raumgreifenden Einsatz von plastischen Elementen wie beispielsweise Nylonschnüren.
Elmira Iravanizad (1987, Teheran) arbeitet mit einem aus dem Tiefen des Unterbewusstseins stammenden Material, das sie in Zeichnungen übersetzt, diese ausschneidet und partiell übermalt. So schafft sie Schichten von abstrakten Elementen, deren poetische Aufgeladenheit in einer formalen Ordnung wurzelt.
Lucia Kempkes (1988, Xanten) komplexe Hybridobjekte erzählen von der Sehnsucht nach Abenteuer, Reise und Eroberung, aber auch von dem Wunsch nach einem festen Ort der Verankerung. Nähe und Ferne spiegeln sich in einer spielerischen Untersuchung von Materialität.
Miriam Salamander (1991) reflektiert die Möglichkeiten von Raum und Material, wenn sie in handgeschöpftes Papier Fadenzeichnungen einschließt und so die Membran des Papieres in seiner Transluzidität aufscheinen lässt.
Jan Voss’ (1936 Hamburg) Oeuvre lotet das Möglichkeitsfeld aus zwischen den Polen Ordnung und Chaos. In stark akkumulierten Reliefbildern aus den verschiedensten Materialien, ob Holz, Papier, Aquarellfetzen oder Leinwand werden Elemente verteilt: farbige abstrakte Formen tauchen auf, gestische, schriftartige Chiffren oder geometrische Objekte und strukturieren die Bildfläche, Bewegung und Gewicht werden stets in einem Spannungsverhältnis zueinander gehalten und ausbalanciert.
Jan-Philipp Fruehsorge
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